Einbeck. In der Woche vor Ostern hatten wir als Kirchengemeinde Einbeck dazu aufgerufen, Steine mit Ostermotiven zu bemalen und sie zu verschenken oder in der Stadt und auf den Dörfern zu verteilen.
Viele Menschen aus allen Generationen haben mitgemacht. Und überall kann man nun bunte Hoffnungssteine entdecken: An den Haustüren, in den Vorgärten, in den öffentlichen Grünanlagen.
Der Stein ist in der Ostergeschichte ein wichtiges Symbol. Jesu Jünger mussten seine Kreuzigung mit ansehen. Das lastete steinschwer auf ihren Herzen. Sein Leichnam wurde in eine Grabhöhle gelegt, verschlossen von einem großen, schweren Stein. Am Ostermorgen, so erzählt es die Bibel, geschieht das Wunder: Der Stein ist weggerollt. Jesus ist auferstanden. So wird der Sorgenstein zum Hoffnungsstein. Liebe ist stärker als der Tod.
Gedankensplitter zu Losung und Lehrtext am 22. April
Ich schwor dir's und schloss mit dir einen Bund, spricht Gott der HERR, und du wurdest mein. Hesekiel 16,8
Ihr seid alle durch den Glauben Gottes Kinder in Christus Jesus. Galater 3,26
Es geht auf den Mai zu und das ist daran zu merken, dass sehr viele Hochzeiten abgesagt werden. Es ist müßig sich aufzuzählen, was im Moment nicht geht – Hochzeiten gehören aber auf jeden Fall dazu. „Immerhin kann ich jetzt aufhören Diät zu machen“, sagte eine betroffene Braut zu mir, „dann muss ich mich eben nächstes Jahr wieder in mein Kleid hungern.“ Das ist der jetzt gut geübte Corona-Sarkasmus.
Der Losungsvers von heute bearbeitet auch dieses Thema. Der Prophet hört Gott wie einen verliebten Bräutigam sprechen, der allerdings mit seiner schönen Braut herbe Enttäuschungen erleben muss. Das ganze 16. Kapitel des Hesekiel-Buches spricht davon in ausgesprochen lebhaften und auch drastischen Schilderungen. Man kann sagen, dass die Losungskommission sich zielsicher den einzigen zitierbaren Vers ausgesucht hat. Vor weiterer Lektüre wird ausdrücklich gewarnt!
Aber dieser eine Vers bringt zum Ausdruck, dass Gott sich in diese Frau, um die es geht, verliebt hat. Es ist ein hoch symbolisches Bild, eine Allegorie für Jerusalem und das kritikwürdige Verhalten der herrschenden Oberschicht in den politischen und sozialen Verhältnissen des 6. vorchristlichen Jahrhunderts. Und dennoch ist hier von Gottes Solidarität die Rede. Und dann im Folgenden und überhaupt auch von Gottes Zorn.
Wie ist das eigentlich mit unserem Zorn? Mit unserer Hilflosigkeit gegenüber der Situation? Bei Telefongesprächen oder zufälligen Begegnungen frage ich immer freundlich-pastoral: Wie geht es Ihnen/Dir? Und dann spüren wir gemeinsam im Gespräch, wie stark der Druck unserer sorgfältig moderierten Gefühle sein kann. Natürlich spricht man diese Dinge nicht gleich direkt an. Aber unter der Oberfläche brodelt es doch: „Wie lange soll das jetzt noch gehen? Ich will mein altes Leben zurück, ich will meine Eltern besuchen, ich habe Angst krank zu werden und nicht zu denen zu gehören, die gut durch die Infektion kommen. Ich kann nicht mehr schlafen...“
Freundlich hören wir uns gegenseitig zu bei dem, was wir lieber nicht so deutlich zum Ausdruck bringen. Gleichzeitig, und darauf spielt der Lehrtext aus dem Galaterbrief an, wissen wir, dass wir, viel stärker als sonst, alle im gleichen Boot sitzen. Vieles muss man eben gar nicht sagen.
Gott kann jedenfalls Zorn verstehen, Jesus hat Zorn erlebt und ihm auch nachgegeben. Wir können uns untereinander bestätigen, dass es Grund gibt zornig zu sein. Und dass wir alle nur gemeinsam wieder aus dieser Zeit des Zorns herausfinden können. Vielleicht ist er auch eine Form der Energie, die uns dazu bringt durchzuhalten.
Gedankensplitter zu Losung und Lehrtext am 21. April
Sie zogen Daniel aus der Grube heraus, und man fand keine Verletzung an ihm; denn er hatte seinem Gott vertraut. Daniel 6,24
Wachet, steht im Glauben, seid mutig und seid stark! 1. Korinther 16,13
Vorgestern, als ich über den Lehrtext nachdachte, fiel mir auf, dass die Bilder von der Herde und ihrem Hirten immer auch etwas leicht Entmündigendes in sich tragen. Natürlich darf Gemeinde auch Kuschelgruppe sein. Und unser Gottesbild stellt uns Gott zurecht als überlegen dar im Vergleich zu den Machtansprüchen aller sogenannten Machtmenschen der Welt. Diese dort verborgene Kritik gefällt mir sehr. Der älteste Gebetsruf, den die ganz junge Christenheit für den auferstandenen Jesus hat, ist eben auch „Kyrios / Kyrie“, Herr. Darauf kann ich auch vor dem Hintergrund von gendergerechten Interessen nicht verzichten. Er ist der Herr und setzt die Maßstäbe, und die sind ganz anders und neu und gerecht und schließen alle Menschen ein.
Heute aber sind Losung und Lehrtext ganz aus der Perspektive mündiger und selbstbewusst glaubender Menschen gewählt.
Der kluge Machtpolitiker Daniel wird von seinem König Darius in eine Löwengrube eingesperrt, weil er gegen das Gesetz der „Perser und Meder“ verstoßen hat. Daniel befand sich in einem politischen Machtkampf und seine Konkurrenten hatten dieses Gesetz ausschließlich in Kraft gesetzt, um Daniel der religiösen Illoyalität gegenüber dem Großkönig anklagen zu können. Aus dieser Falle und der Löwengrube kann sich Daniel durch Vertrauen in Gott retten. Die Löwen werden von einem Engel ruhiggestellt und der Großkönig ist hinterher auch dem Gott Daniels sehr dankbar.
Das Danielbuch ist das jüngste Buch der hebräischen Bibel. Es ist eine Art „historischer Roman“ über den weisen und klugen Daniel im Perserreich, mit vielen apokalyptischen Bilder und Vorstellungen, die im fünften Jahrhundert spielen sollen, aber gleichzeitig gut in die politische Situation des zweiten vorchristlichen Jahrhunderts passen, als das Buch verfasst wurde.
Ganz anders der erste Brief des Paulus an seine Gemeinde in Korinth. Er ist ein realer Brief, geschrieben von Paulus, der sich inzwischen in Ephesus aufhielt. Am Ende der Korrespondenz beginnt Paulus seine Grüße mit den Worten des Lehrtextes.
Das traut er seiner Gemeinde zu. Es fehlt aber noch die Fortsetzung: „All eure Dinge lasst in der Liebe geschehen.“ Das ist mündiger, selbstbewusster Ausdruck des Glaubens. Wach blieben, wissen, was man glaubt, mutig und stark dazu stehen und alles in Liebe erleben, aushalten, gestalten.
Gerade in schwierigen Zeiten schwanken Menschen zwischen emotionalen Extremen. Mal fühlen wir uns wie die kleine Herde, „Gottes Gurkentruppe“, wie es 2019 auf dem Abschlussgottesdienst des Kirchentags in Dortmund so treffend hieß. Und mal sind wir Bürger*innen Korinths, denen Paulus alles zutraut: Mut, Glaubensüberzeugung, Gegenwartsbezug und die Kraft der Liebe.
Gedankensplitter zu Losung und Lehrtext am 20. April
Der HERR sprach: Dazu habe ich Abraham auserkoren, dass er seinen Kindern befehle und seinem Hause nach ihm, dass sie des HERRN Wege halten und tun, was recht und gut ist. 1. Mose 18,19
Befreit von der Sünde und in den Dienst Gottes gestellt, habt ihr die Frucht, die Heiligung schafft, und als Ziel ewiges Leben. Römer 6,22
In dieser Woche, am 23. April, beginnt der Ramadan. Es ist der islamische Fastenmonat. Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang wird sehr streng gefastet. Es gibt allerdings auch viele, gut begründete Ausnahmen. Der Ramadan richtet sich nach dem Mondkalender und wandert, immer um elf Tage versetzt, rückwärts durch die Jahreszeiten. Im Moment müssen die Gläubigen also tagsüber ziemlich lange durchhalten. Zu Beginn geht die Sonne um 6:15 auf und um 20:31 unter. Am 23. Mai geht sie um 5:29 auf und um 21:14 unter. Nach Sonnenuntergang darf man wieder gut und gerne essen, der Ramadan ist ein Groß-Familienereignis mit vielen Treffen untereinander.
Der Ramadan wird unter Corona-Bedingungen zu einer traurigen Erfahrung werden. So wie die Juden Pessach ohne Familientreffen am Seder-Abend haben feiern müssen und die Christen nicht in der Karwoche und an Ostern ihre Gottesdienste feiern konnten.
Wir alle sind Abrahams und Saras Kinder: Jüdinnen und Juden, Christinnen und Christen, Muslimas und Muslime. Und wie in jeder Familie gibt es unter den Geschwistern Konflikte. Zum Beispiel um die Rollenverteilung. Wer ist die große, vernünftige Schwester, wen liebt die Mutter am meisten, wer geht immer seine eigenen Wege, wer möchte das schwarze Schaf sein?
Abraham und Sara haben es auch nicht einfach miteinander, es gibt zwei Söhne, der ältere, Ismael, stammt von der Sklavin Hagar, er verlässt erbost die Familie, den Sohn Isaak bekommt Sara, als sie schon lange nicht mehr damit gerechnet hatte. Insgesamt ein ganz normales Familienchaos. Und trotzdem ist Abraham der Stammvater einer unglaublichen Geschichte des Segens und der Hoffnung auf Heil.
Man kann auch anders auf die abrahamitischen Religionen blicken. Sie haben sich bei weitem nicht immer auf den in der Losung angesprochenen Wegen des Herrn befunden und die Weltgeschichte ist bis in unseren Alltag voll von Beispielen, in denen Gläubige ungerecht und schlecht gehandelt haben.
Auch wir müssen unser Teil zur Glaubwürdigkeit Abrahams und seiner Nachkommen beitragen. Es gilt der 1. Vers des 133. Psalms: „Siehe, wie fein und lieblich ist's, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!“ Diesen Vers konnte man mit ironischen Untertönen manchmal bei Streitereien am Abendbrottisch hören, und meine Schwester und ich haben sich dann zurückgelehnt und gesagt: „Stimmt, wir sind sowieso immer nett!“
Für die großen Konflikte reicht das nicht. Da fehlt noch auf allen Seiten, an alle Fronten viel an Befreiung von der Sünde und den Früchten der Heiligung.
Gedankensplitter zu Losung und Lehrtext am 19. April
Er behütete sein Volk wie seinen Augapfel. 5. Mose 32,10
Fürchte dich nicht, du kleine Herde! Denn es hat eurem Vater wohlgefallen, euch das Reich zu geben. Lukas 12,32
Die heutige Losung stammt wieder aus dem Deuteronomium, dem 5. Buch Mose. Es ist ein Vers im sog. Lied des Mose, einem sehr kunstvollem Danklied für Gottes Taten. In Psalm 17 findet man die dazugehörige Bitte: „Behüte mich wie einen Augapfel im Auge“.
Ich bilde mir ein, dass wir im Moment durch die neuen Erfahrungen, die wir täglich machen, etwas verändert ‚aus den Augen gucken‘. Wenn ich andere Menschen treffe, dann sehe ich die Spuren der vielen Umstellungen, der veränderten Lebenssituation, der Sorgen und der Anstrengungen der vergangenen Wochen. Unsere Augen mussten einiges schlucken. Neue Begrüßungsgesten und Abstandsregeln, neue Grenzen, neues Mistrauen, auch neue Formen von Unhöflichkeit oder sogar Aggression. Und meine Augen waren regelrecht erschöpft nach der ersten längeren Sitzung am Computerbildschirm. Ich erinnere mich daran, wie die Augen einer Frau aufleuchteten, als sie am Ostersonntag in die Münsterkirche kam. Ich selbst hatte beim Anzünden eines kleinen Kelchlichtes am Altar Tränen in den Augen.
Jesus sagt: „Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib licht sein.“ Auch das ist eine sehr körperliche Erfahrung, wenn man allein, mit gleichgültiger Miene, dabei aber völlig entspannt, durch die Gegend stapft und dann von jemandem angesprochen wird. Und man merkt, wie sich das eigene Gesicht aufhellt und der Köper sich aufrichtet und korrespondiert: O, ein freundliches Gesicht, wie schön, jemand will etwas von mir...!
Das hebräische Wort für Auge lautet „Ayin“. Und der Name für einen Buchstaben des hebräischen Alphabets, ein keliger A-Laut, ist auch Ayin. Denn der Buchstabe sieht, wenn man ihn auf die Seite legt, wie ein Auge aus. Er ähnelt dann dem „Horusauge“, einem sehr weit verbreiteten Heilungs-Amulett in der ägyptischen Religion. Der dazugehörige Mythos erzählt von der Heilung des Auges des Gottes Horus, das er bei einem Götterkampf verloren hatte.
An diesem Wochenende hätten die Feierlichkeiten zu eurer Konfirmation begonnen. Und wir wollen dieses Wochenende nicht verstreichen lassen, ohne uns noch mal bei euch zu melden. Am Samstag hätten wir gemeinsam in der Münsterkirche Gottesdienst gefeiert – und wir hätten die Gemeinschaft mit Gott und untereinander und natürlich auch euch Konfis gebührend gefeiert. Mit allen Sinnen hätten wir diesen Abend und die bevorstehende Konfirmation genossen.
Nun ist uns das leider nicht möglich, aber wir grüßen euch mit diesem Fotorückblick auf die KU8-Zeit. Wir haben schon ziemlich coole Sachen zusammen erlebt. Die Bilder steigern in uns die Vorfreude auf eure Konfirmation, die wir ganz bald feiern werden.
Wenn die Lage etwas entspannter ist, werden wir euch noch mal einladen – und dann alles Weitere besprechen. Bis dahin senden wir euch und euren Familien ganz liebe Grüße, eure
Einbeck. Am kommenden Sonntag, 19. April, werden wir stundenweise die Münster- und die Marktkirche öffnen, und zwar von 10 - 12 Uhr. Selbstverständlich sind dabei die Abstandsregeln einzuhalten.
In der Münsterkirche wird Kantorin Ulrike Hastedt während der Öffnungszeit Orgelmusik spielen. Auch in der Marktkirche wird von etwa 11 - 12 Uhr die Orgel erklingen. Dort wird Konrad Borchardt für die Besuchenden musizieren.
Gedankensplitter zu Losung und Lehrtext am 18. April
Der Storch unter dem Himmel weiß seine Zeit, Turteltaube, Schwalbe und Drossel halten die Zeit ein, in der sie wiederkommen sollen; aber mein Volk will das Recht des HERRN nicht wissen. Jeremia 8,7
Jesus Christus hat sich selbst für uns gegeben, damit er uns erlöste von aller Ungerechtigkeit und reinigte sich selbst ein Volk zum Eigentum, das eifrig wäre zu guten Werken. Titus 2,14
Was uns unmittelbar mit diesem Prophetenwort verbindet, sind die Zugvögel, die dort genannt sind. Die Störche, die jetzt in Niedersachsen ihr Nest bauen, ziehen vielleicht im Herbst in großen Schwärmen über Israel in ihr afrikanisches Winterquartier. Auch Schwalben kennen wir und kennt man in Israel als Zugvögel, allerdings kann der hebräische Begriff auch die Mauersegler beschreiben. All diese Vögel halten sich an die Regeln Gottes, an die wunderbaren Rhythmen der Schöpfung. Nur die Menschen beachten das große Ganze nicht. Eine alte Klage bei allen, die sich Propheten nennen dürfen. Obwohl wir uns im Moment, so kommt es in den Medien irgendwie rüber, auch manchmal selbst auf die Schulter klopfen dürfen, weil wir die Corona-Regeln im Prinzip ganz gut einhalten. Unsere mütterliche Bundeskanzlerin lobt uns an diesem Punkt, wenn auch zurückhaltend, damit wir nicht gleich übermütig werden.
Der Prophet Jeremia erhebt in seinem schönen Vers eine kritische Stimme, die sich durch die Jahrtausende hindurch eben nicht erledigt hat. Neulich habe ich in einem Zeitungsartikel gelesen, dass man die Argumentationen von Greta Thunberg in ihrer Dringlichkeit, sprachlichen Form und ihrer Vehemenz durchaus mit den Prophet*innenstimmen der abrahamitischen Großreligionen vergleichen könne.
Der Lehrtext aus dem Brief an Titus, nähert sich der Sache von einer anderen Seite. Er redet nicht kritisch, sondern konstruktiv. Und er klärt die Voraussetzungen, unter denen gute Werke zustande kommen. Klärung und Reinigung spielen eine Rolle. Und die Auseinandersetzung mit der Wurzel von Ungerechtigkeit. Sie liegt in uns. Wir geraten prinzipiell mit uns selbst in Konflikt. In kleinen alltäglichen Dingen fallen wir oft aus dem Rhythmus, aber auch ganz grundsätzlich können wir komplett falsch liegen. Wir tragen dafür die volle Verantwortung. Daraus kann man sich schlecht selbst erlösen. Jesus Christus ist an dieser Stelle unser hilfreiches Gegenüber. Er macht uns zu seinen Leuten, die immer wieder eifrig von vorne anfangen können das Richtige zu tun.
Seit ich Theologin und Pastorin bin, versuche ich mir und anderen zu erklären, was Sünde ist und wie sie mit dem Tod Jesu zusammenhängt. Schlüssig ist für mich die Perspektive der Liebe und der Selbstaufgabe, mit der Jesus in den Tod gegangen ist. Von Opfer mag ich in diesem Zusammenhang nicht gerne reden. Ich finde, man kann diesem Verständnis am besten anhand des Pulsschlags nachspüren, der die Arie „Aus Liebe will mein Heiland sterben“ aus der Matthäuspassion von Bach durchzieht.
An der Orgel in der Münsterkirche St. Alexandri: Kantorin Ulrike Hastedt
Es ist April. Ganz Hamburg ist plakatiert. Schwarz auf orange kann man es überall lesen: „Die Not hat ein Ende.“ Und ein paar Tage später eröffnet auf St. Pauli ein neuer Musikclub. Es ist der weltberühmte Star-Club – und die Band, die so selbstbewusst plakatiert hat, ist eine ziemlich unbekannte Combo aus Liverpool: Die Beatles. Etwa 1000 Menschen kommen, obwohl in den Star-Club eigentlich nur 500 Leute passen. „Tausend feierten besonderes Osterfest“ titelt eine Zeitung.
Ich weiß zwar nicht, welches Osterlied die Beatles gespielt haben, aber wenn man Bilder von den Hamburger Konzerten im Star-Club sieht, könnte man meinen, einen großen Osterjubel zu sehen. Nicht nur bei der Band, vor allem auch beim Publikum. Das ist 58 Jahre her. Und bis heute begeistern Beatles-Lieder die ganze Welt, seit dem großen Erfolg des Films „Yesterday“, der letztes Jahr in die Kinos kam, sogar meine Kinder.
„Die Not hat ein Ende“, das plakatieren Christen nicht schwarz auf orange, aber sie singen seit Jahrhunderten davon, dass die Not ein Ende hat, dass Gott mit Ostern von der Zukunft des Lebens spricht. Martin Luther kannte noch keine Beatles-Hits, aber in der Hitparade seiner Zeit kannte er sich bestens aus. Er schreibt: „Aller Lieder singet man sich mit der Zeit müde, aber das Christus ist erstanden, muss man alle Jahr wieder singen.“
Luthers All-Time-Favourite ist auch dieses Jahr am Ostersonntag erklungen. Nicht in den Kirchen und Kapellen, aber von den Balkonen, an den Fenstern, über den Dächern unserer Stadt:
Christ ist erstanden von der Marter alle;
des solln wir alle froh sein, Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.
Wär er nicht erstanden, so wär die Welt vergangen;
seit dass er erstanden ist, so lobn wir den Vater Jesu Christ’. Kyrieleis.
Halleluja, Halleluja, Halleluja! Des solln wir alle froh sein,
Gedankensplitter zu Lesung und Lehrtext am 17. April
Sei mir ein starker Hort, dahin ich immer fliehen kann, der du zugesagt hast, mir zu helfen. Psalm 71,3
Der Herr wird mich erlösen von allem Übel und mich retten in sein himmlisches Reich. 2. Timotheus 4,18
Allein am Schreibtisch vor dem Computer und umstellt von Losung und Lehrtext kann man viel erleben, wenn man erst einmal anfängt zu googlen... zum Beispiel den Begriff „Eskapismus“: Damit ist eine besondere Art von Weltflucht beschrieben, also etwa wenn man von 3sat auf ZDF umschaltet, um beim Bügeln Rosamunde Pilcher zu sehen. Dem Wikipedia-Artikel kann man übrigens entnehmen, dass das Wort aus dem „Vulgärlateinischen“ stammt und darin das Wort „Cappa“ enthalten ist, die Ordensmütze. Jemand wirft seine Ordensmütze weg. Es ging also zunächst um die Flucht aus einem Kloster. Gut auch der Hinweis auf ein Buch von Peter Handke zum Thema mit dem Titel: „Ich bin ein Bewohner des Elfenbeinturmes (1972)“. 2020 können wir alle getrost dasselbe behaupten.
Es gibt eine Hitliste der besten Medien, die den Eskapismus unterstützen: Altmodisch sind Krimis und leicht zu lesende Unterhaltungsliteratur, in der Küche hilft ein Radio, gerade noch im Rennen liegt der Fernseher, aber das Internet schlägt alles bisher Dagewesene.
Es fällt auf, dass in der Losung für heute Gott nicht ausdrücklich genannt, sondern einfach vorausgesetzt wird. Und dass die Losungsmacher die Anrede nicht ergänzt haben, ist voll tiefer Weisheit, denn Gott ist kein Medium des Eskapismus. Er ist für uns alternativlos, sich an ihn zu wenden, ist das einzig Mögliche. Glaube stiftet immer diesen Vertrauensvorschuss, der sich über die Lebenszeit selbst hinaus erstreckt.
In unserer aktuellen Situation gibt es viele Brennpunkte, in denen Menschen sich in diesen beiden Versen wiederfinden können. Wer an einem schweren Verlauf von Covid19 leidet, ringt um seinen Atem und mit seiner Angst. Wer als Pflegepersonal und als Mediziner*in sich um schwerkranke Menschen kümmert, hat immer vor Augen, was droht, wenn man sich ansteckt. Angst und Existenzsorgen brechen im Moment bei allen Menschen immer mal wieder auf, besonders abends.
Ein Lieblings-Abendlied von mir ist – neben der unangefochtenen Nr. 1, dem MOND – das Lied „Abend ward, bald kommt die Nacht...“ Dort heißt es: Jesus Christ, mein Hort und Halt, dein gedenk ich nun, tu mit Bitten dir Gewalt, bleib bei meinem Ruh‘n. Das ist genau die Situation.
Woher wusste die Losungskommission das, damals vor zwei Jahren?